Freitag, 21. Oktober 2011

Verzweifelter Handy-Anruf verriet Gaddafis Aufenthaltsort

Die Rolle der NATO bei der Jagd auf Libyens Diktator war größer als bisher bekannt: Das Bündnis verfolgte die Operation aus der Luft, entscheidend war offenbar ein Hilferuf Gaddafis per Satellitentelefon. Handy-Videos lassen erahnen, wie die letzten Stunden des Despoten verlaufen sind.

Die Nacht vor seinem Tod verbringt Muammar al-Gaddafi mit rund einem halben Dutzend Mitgliedern seiner Entourage. Das berichtet einer seiner Fahrer. "Du warst also noch gestern (am Mittwoch, Red.) bei Gaddafi?", fragt ihn der selbst nicht im Bild auftauchende Interviewer. "Ja", antwortet der um die 60 Jahre alte Fahrer, der ebenfalls namentlich nicht vorgestellt wird. "Wir hielten uns in einem Haus in der 'Area 2' in Sirte auf." Der Fahrer ist sichtlich erschöpft, verwirrt, verunsichert. Vermutlich fragt er sich, was nun aus ihm werden wird - jetzt, da der Mann, der ihn fast 25 Jahre lang bezahlte, tot ist und ihn nicht mehr schützen kann.Auch als Gaddafi am Donnerstag gefunden wurde, befand sich der Fahrer noch in seiner unmittelbaren Nähe: "Ich war in einer der Betonröhren, er in der anderen", sagt er.
Eine vorläufige Rekonstruktion der Ereignisse

Das Video, augenscheinlich aufgenommen in der libyschen Stadt Misrata, nur Stunden nach Gaddafis gewaltsamem Tod, ist eines von Dutzenden Zeugnissen in Bild, Ton und Schrift, in dem tatsächliche und angebliche, glaubwürdige und dubiose Augenzeugen berichten, was am Todestag Gaddafis geschah. Das Material kursiert vor allem im Internet, die Authentizität ist nicht immer klar - aber in der Summe, übereinandergelegt, erlauben die Auskünfte eine erste, grobe und vorläufige Rekonstruktion des letzten Tags im Leben des gefürchteten und zuletzt untergetauchten Diktators Muammar al-Gaddafi.
Der beginnt demnach mit einem Fluchtversuch. Irgendwann am frühen Morgen verlässt ein größerer Konvoi die Stadt Sirte, in der Gaddafi geboren wurde. Sirte, lange das letzte Widerstandsnest von Gaddafi-Loyalisten, hatte den Angriffen der Rebellen nicht mehr viel entgegenzusetzen und stand vor dem Fall. Vermutlich befand sich vor dem Ausbruchversuch des Diktators nur noch die "Area 2" in der Hand der Loyalisten, ein Gebiet von einigen hundert Quadratmetern.

Gegen 8.30 Uhr Ortszeit gerät der Konvoi gleich von zwei Seiten aus in Bedrängnis: Nato-Kampfjets werfen Bomben ab und stellen sicher, dass die Fahrzeugkolonne nicht mehr weiterfahren kann. Von der anderen Seite nähern sich die Rebellen.

Verzweifelter Hilferuf aus Gaddafis Unterschlupf

Nach Monaten des Rätselns über Gaddafis Aufenthaltsort konnte durch das verzweifelte Telefonat, in dem der einstige Machthaber hektisch versucht haben soll, frische Truppen von Söldnern nach Sirte zu befehligen, erstmals der genaue Aufenthaltsort Gaddafis bestimmt werden. Glaubt man den Rebellen, reichten die Geheimdienste die Daten an eine Kämpfereinheit aus Misurata weiter. Diese sollten Gaddafi in Sirte aufspüren.

Aus der Luft, das bestätigt die NATO-Mitteilung, haben die westlichen Helfer der Rebellen die Operation genau verfolgt. Als sich schließlich am frühen Morgen aus einem Anwesen, von dem aus das Satellitentelefonat geführt worden war, ein Konvoi von 80 Militärfahrzeugen absetzen wollte, feuerten zunächst französische Kampfjets auf ihn, dabei wurden nach Nato-Angaben elf Militärfahrzeuge mit reichlich Munition an Bord getroffen.
Foto-Serie: Muammar al-Gaddafi

Libyens Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi ist nach Berichten des Übergangsrats gefasst und getötet worden. Er war über Jahrzehnte die schrillste Figur in der Riege der arabischen Despoten. (Foto: dpa)
Gaddafi in einer der ersten Aufnahmen kurz nach seinem Militärputsch gegen König Idris I. am 1. September 1969. (Foto: dpa)
Gaddafi im Dezember 1969 auf einer arabischen Gipfelkonferenz in Marokko. Nach seiner Machtergreifung hätte er am liebsten gleich die gesamte arabische Welt mit seiner Volksbefreiungsideologie beglückt. Doch die Araber zeigten ihm die kalte Schulter. (Foto: dpa)
Gaddafi führte Libyen von der Monarchie in eine Art Volksrepublik. Im Juni 1978 stattete er der DDR einen offiziellen Besuch ab, wo er mit Staats- und Parteichef Erich Honecker (links) in Berlin zusammentraf. (Foto: dpa)
Mit den Jahren wurde Gaddafi immer neurotischer und aufbrausender. Er misstraute fast jedem. Das Bild zeigt ihn im Juli 1998, als er nach einem Sportunfall mit Freunden und Bodyguards vom Krankenbett aus betet. (Foto: dpa)
Gaddafi ließ sich gern von Frauen bewachen - hier am 4.4.2000 beim EU-Afrika-Gipfel in Kairo. (Foto: dpa)

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Wenig später schlug das Militärbündnis erneut zu. Nachdem sich aus dem großen Konvoi rund 20 Autos weiter in Richtung Süden bewegten, wurden sie erneut aus der Luft attackiert und so gestoppt. In unmittelbarer Nähe zerrten die Rebellen Gaddafi später aus dem Abwasserrohr. Vorsorglich betonte die NATO, das Bündnis habe zur Zeit der Luftschläge nicht gewusst, dass sich Gaddafi in dem Fahrzeugkonvoi befand.

Es ist unklar, aber durchaus möglich, dass Gaddafi bereits zum Zeitpunkt des Luftangriffs verwundet ist. Sicher scheint, dass er mit einigen letzten Getreuen den Konvoi verlässt und zu Fuß flüchtet. Er sucht und findet Unterschlupf in einer großen Betonröhre, wahrscheinlich Teil einer Abwasseranlage. Zu diesem Zeitpunkt lebt Gaddafi definitiv noch.

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